Kunst und ich? Das ist etwa so wie Literatur und ich, hm, nein, das hat sich ja in den letzten Jahren völlig geändert. Zugegeben, ich war schon vor vielen Jahren in der Schirn und war erstaunt. Erstaunt, wie sehr mir als vermeintlicher Kunstbanause dieser Besuch gefallen hatte. Als ich dann deutlich später, noch vor meinem Umzug nach London, die Tate Gallery aufsuchte, vertiefte sich mein Zugang zur Kunst ein wenig. Ich nahm mir fest vor, öfter mal eine Ausstellung zu besuchen. Es sollten jedoch noch einige Jahre vergehen, bis ich mir diese Zeit wieder nehmen konnte.
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Nein, ich ertappe mich gerade dabei, wie ich mich in Ausflüchten ergebe. Es liegt fast immer an uns selbst, wenn wir Dinge nicht machen, oder vor uns herschieben. Wir selbst setzen die Prioritäten in unserem Alltag und Schande über mich, die letzten Jahre hatte da die Kunst keinen Platz.
Doch nun? Ja, ich war gestern wieder in der Schirn und muss zugeben, nicht meine innere Stimme legte mir diesen Besuch nahe, sondern Kolumnistin und Autorin Susanne Reichert, die ich dankenswerterweise begleiten durfte. Um es vorwegzunehmen: Mir hat es sehr gut gefallen und ich nehme mir fest vor, bis zur nächsten Begegnung mit der Kunst nicht wieder Jahre verstreichen zu lassen! Derzeit liebäugle ich sogar damit, in den nächsten Wochen auch noch die Magritte-Ausstellung zu besuchen, liebe ich doch den Surrealismus sehr.
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Tragische Figuren faszinieren mich als Thrillerautor immer besonders, und so trifft es sich gut, dass neben der Magritte-Ausstellung die Schirn derzeit auch die bedeutendsten Werke des österreichischen Expressionisten Richard Gerstl zeigt, dessen Leben auf äußerst tragische Weise endete.
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Richard Gerstl, hier in einem Selbstportrait, erhängte und erstach sich. Ich musste zweimal lesen, nachdenken und dann noch einmal lesen. Würde ich solch einen Tod in einen meiner Thriller verarbeiten? Undenkbar bei den heutigen Lesern. Ich erhielte viele Zuschriften oder gar in Rezensionen würde ausgeführt, dass dies völlig absurd und unrealistisch sei. Doch schreibt das Leben selbst die merkwürdigsten Geschichten. Ja, so endete leider viel zu früh das Leben des Künstlers im zarten Alter von fünfundzwanzig Jahren, hätte er doch mindestens so alt werden sollen, wie der hier von ihm porträtierte Mann:
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Die Liebe zu einer Frau – wie könnte es anders sein – trieb den Ausnahmekünstler in den Freitod. War es die Liebe selbst oder eher die Verzweiflung darüber, dass seine Geliebte Mathilde Schönberg zu ihrem Ehemann zurückging, die ihn zu diesem Schritt verleitete? Oder gar das mangelnde gedankliche Unvermögen seinerseits, sich nach Mathilde jemals wieder in eine andere Frau verlieben zu können?
Wäre Richard Gerstl Schriftsteller gewesen, hätten wir es vielleicht erfahren. So können wir jedoch nur in seinen Bildern nach Hinweisen suchen, was ihn tatsächlich geritten hatte, erst den Strick und dann das Messer zu benutzen. Und warum beides? Nach dem Motto doppelt stirbt sich besser, oder was? War Richard Gerstl ein ängstlicher Mensch, der dachte, jemand könne ihn in letzter Sekunde dort am Strick entdecken und abschneiden, noch bevor er sein letztes bisschen Leben ausgehaucht hätte? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Möglichkeiten offenbaren sich mir. Vielleicht war der große Künstler auch ein zutiefst misstrauischer Mensch. Misstraute er dem Seilmacher, weil dieser vermeintlich sein Handwerk nicht verstand? Oder dieser ihm gar aus bloßer Boshaftigkeit ein fehlerhaftes Seil verkaufen könnte? Vielleicht täte der Seilmacher dies aber auch aus reiner Nächstenliebe heraus, da er sah, wie betrübt Richard Gerstl war, als er das Geschäft betrat und er, der Seilmacher von Wien, mochte nicht als Selbstmordgehilfe dastehen? Ich merke erst jetzt, dass meine Fantasie zu weit abschweift, wollte ich doch nur von unserem Besuch in der Schirn berichten. Mord und Selbstmordfantasien behalte ich besser meinen Thrillern vor, mir kommt da gerade so ein Gedanke …
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Für uns stellte sich in der Ausstellung vielfach die Frage, warum Richard Gerstl seine geliebte Mathilde Schönberg auf keinem der Bilder vorteilhaft darstellte. Offenbart sich hierin das Verbotene an dieser Beziehung? Immerhin war Mathilde die Ehefrau des Komponisten Arnold Schönberg, der die beiden letztendlich in flagranti überraschte, was dann zum Ende der Liäson und seinem Freitod führte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gerstl seine Geliebte lediglich deshalb nicht schmeichelhaft zeigte, um sich so von seinem gelebten Feind Gustav Klimt abzuheben, der viel Schönes darstellte. Nein, der Anti-Klimt, wie er gelegentlich genannt wird, hatte sicher andere Gründe dafür. Vielleicht dachte Gerstl auch, nur er selbst, würde die wahre Schönheit von Mathilde erkennen und wollte sie vor der Außenwelt verbergen. Diese romantische Vorstellung gefällt mir am besten.
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Dass Richard Gerstl Schönheit durchaus gut darzustellen vermochte, zeigt sich in dem folgenden Bild (nicht Mathilde Schönberg!), das mir als Autor natürlich besonders gut gefällt, hat er es doch in ein Buch gemalt:
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Zum Abschluss noch ein kleines Geständnis: Mit seinen Landschaftsbildern werde ich nicht warm. Mit seinen Portraits dafür umso mehr. Allen die seine Bilder noch nicht gesehen haben: Gebt Richard Gerstl eine Chance und besucht die Ausstellung, die in der Schirn noch bis zu meinem sonntägigen Geburtstag gezeigt wird, wie passend.
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