Es gibt sie noch: die Buchhandlung von nebenan. So eine, wie die aus meiner Kindheit, als ich an der Hand meiner Oma, des Öfteren den Laden in der Wiesbadener Fußgängerzone betrat. Ich erinnere mich so, als wenn es gestern gewesen wäre. Es roch so schön nach Büchern, die Regale waren riesig hoch, es herrschte ein reges Treiben. Kunden wanderten mit ihren Augen von links oben nach rechts unten, nur um dann beim nächsten Regal wieder links oben anzufangen, immer darauf erpicht, nur kein interessantes Objekt zu übersehen. Andere blätterten mit ernster, manche mit erheiterter Mine im Gedruckten, das sie vorsichtig in den Händen hielten wie rohe Eier. Bücher sind etwas Kostbares und es ist ein Frevel, sie nicht sorgsam zu behandeln. Dieses Wissen war früher deutlich weiter verbreitet als heutzutage. In einer Sitzecke machten Leseratten es sich gemütlich, die etwas länger Zeit zum Verweilen hatten. Dazwischen Buchhändler (meist „-innen“), die für jeden Rat gerne zur Seite standen. Die gute alte Zeit!

An die meisten Exponate kam ich erst gar nicht ran, war ich doch nur etwas größer als ein laufender Meter. Und das war gut so, denn diese Bücher wären so gar nichts für mich gewesen, und doch faszinierte mich stets die Vielfalt in den beeindruckend vollen Schrankwänden. Wenn ich groß wäre, würde ich eine riesige Bibliothek haben, so nahm ich mir vor.

Ich ging zielstrebig in die Kinderbuchecke und war in meinem Paradies. Auch wenn ich zu dieser Zeit schon wusste, mit welchem Buch ich (dank Omas großzügiger Unterstützung) den Laden wieder verlassen würde, stöberte ich nach Herzenslust in Büchern, die schön aussahen, deren Titel mich interessierten oder deren Inhaltsangabe auf der Rückseite ich spannend fand, sofern ich sie überhaupt verstand (das Wort Klappentext kannte ich noch nicht). Ich genoss, die Buchseiten umzublättern und das unterschiedliche Papier zu fühlen. Mal war es glatt wie Butterbrotpapier, mal etwas rauer, mal dünn wie Pergament, mal dick wie richtiger Karton. Es war einfach nur schön und aufregend.

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Oma wurde in dieser Zeit von der netten Buchhändlerin über Bücher informiert, die sie meist selbst gelesen hatte, oder von Empfehlungen ihrer Kunden her als besonders lesenswert erachtete. Wie Oma letztlich ihre Auswahl traf, erschloss sich mir nicht, ich war ohnehin viel zu sehr beschäftigt in meiner Ecke und war stets enttäuscht, wenn sie mich viel zu früh abholte, da es angeblich Zeit zum Gehen war. Wie immer hatte ich einen neuen Band der Pitje Puk Reihe von Henri Arnoldus in der Hand und strahlte vor lauter Vorfreude auf meine spätere Lektüre wie Pumuckl nach einem gelungenen Streich.

WDV Herr Kelkheim

Die Zeiten haben sich seit dem dramatisch geändert. Viele Dinge, die damals schön waren, gibt es heute kaum noch und dafür sind wir selbst mitverantwortlich. Unsere Innenstädte sind ärmer geworden, viel ärmer. Gefällt es jemandem, dass es inzwischen fast völlig egal ist, ob man gerade in Hamburg, Zürich, Frankfurt, Wien oder Berlin durch die Fußgängerzone geht? Ich kann mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen, denn mir geht dieser Einheitsbrei gewaltig auf den Senkel. Überall die gleichen Shops der großen Ketten, Gleichmacherei allen Ortens, kaum noch individuelle kleine Läden – wir haben sie fast alle sterben lassen. Manche Ladeninhaber haben auch nicht die Kraft und Kreativität gehabt, mit einer schier übermächtig erscheinenden Konkurrenz mitzuhalten.

Und doch gibt es sie vereinzelt hier und da noch: die Läden von nebenan. Und wisst ihr was? Wir haben die verdammte Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie überleben und uns weiterhin mit ihrer Individualität und tollen Beratung erfreuen, sonst wissen unsere Kinder bald nicht mehr, wie ein kleiner unabhängiger Buchladen aussieht, wie er riecht, wie toll man dort stöbern und interessante Gespräche mit den netten Buchhändlern führen kann. Man ist dort keine Nummer, man ist kein anonymes Login, keine Trackingnummer, nein, ich bin Kunde, Mensch, Leser und Gesprächspartner. Meine Wünsche finden dort Gehör. Sind die Bücher hier teurer? Nein, sind sie nicht. Brauchen sie länger, um bei mir zu sein? Nein, denn wenn sie gerade nicht lagernd sind, so sind sie in der Regel am nächsten Tag schon da und das ganz ohne kostenpflichtigen Premiumaccount oder wie auch immer das heißt. Aber oft kann ich meine neuen Schätze sofort mitnehmen. Hier kann man interessanten Lesungen lauschen und dem ein oder anderen Autor die Hand schütteln und signierte Exemplare bekommen. Geht das alles virtuell? Nein! Also lasst uns doch bitte wieder verstärkt lokal einkaufen, eure Lebensqualität und eure Kinder werden es euch danken!

Bild Oestrich Buchhandlung Idstein

Dieser Beitrag ist am 28.06.2016 in der Huffington Post erschienen: Hier geht es direkt zum Artikel in The Huffington Post.