Soll ich, soll ich nicht? Soll ich besser meinen Mund halten? Es wurmt mich schon länger, was derzeit in der deutschen und europäischen Politik für unerträgliche Fehler begangen werden und dabei immer wieder versucht wird, das Volk für dumm zu verkaufen. Lange habe ich geschwiegen, denn normalerweise mische ich mich nicht in politische Diskussionen ein. Wenn ich nach meiner Meinung gefragt werde, bin ich nicht scheu, diese kundzutun, aber mich in Szene setzen, und lauthals meinen politischen Unmut zu äußern, ist nicht wirklich meine Art. Doch uns mit einer fadenscheinigen Ausrede versuchen, über den Tisch zu ziehen, geht mir eindeutig zu weit, Frau Merkel!

Ich wollte gestern schon reagieren, doch hat mich die Vorbereitung und Durchführung einer Lesung im schönen Rheingau davon abgehalten. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben und somit muss ich Ihre gestrige Entscheidung im Fall Böhmermann doch noch kommentieren. Warum ist das überhaupt ein Fall? Allein das ist schon so lächerlich, dass sich viele fragen werden: Leben wir in einer Bananenrepublik?

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es derzeit nicht leicht, keine Frage. Und doch heißt es gerade in solch schwierigen Situationen bedachtsam zu agieren und sich nicht zur Marionette machen zu lassen, von niemandem! Wie weit kann ein Mensch gehen? Wie weit kann man sein eigenes Gewissen verkaufen? Wie weit kann man dem Volk mit fadenscheinigen Argumenten daherkommen? Fragen über Fragen, die Sie sich wohl täglich stellen müssen.

So, so, Frau Merkel, „Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen“, so Ihre Worte in der gestrigen Presseerklärung. Interessant! Warum gibt es dann noch diesen anachronistischen § 103 des Strafgesetzbuches überhaupt? Wie lange sind Sie denn an der Regierung und wie viele Gesetzesvorlagen haben Sie seit dem eingebracht, um diesen Paragraphen abzuschaffen? Ich kann es Ihnen sagen: keinen! Und trotzdem berufen Sie sich auf diesen Paragraphen und erläutern weiter, dass Ihre Ermächtigung (ja, es ist Ihre persönliche, da Ihre Stimme den Ausschlag gab) lediglich dafür sorgt, dass die rechtliche Überprüfung der Justiz überantwortet werde und nicht die Regierung das  letzte Wort haben werde. Nein, dem ist nicht so, auch wenn Sie uns das gerne so verkaufen wollen. Denn auch ohne Ihre Ermächtigung wäre das Amtsgericht Mainz aufgrund der dort anhängigen Anzeige  von Herrn Erdogan bereits von sich aus tätig geworden. Also hätten Sie guten Gewissens diesen lächerlichen Antrag der Türkei ablehnen und damit ein Zeichen für die Unantastbarkeit der Presse- und Kunstfreiheit in diesem Lande setzen können.

Was wäre denn Ihre Pflicht als Bundeskanzlerin gewesen? Nein, definitiv nicht, die Äußerungen eines Herrn Böhmermanns zu kommentieren und sogar zu werten, wie Sie es gemacht haben. Das ist einer Frau in Ihrem Amt nicht würdig. Schmähkritik an Ihnen, die es in der Vergangenheit zahlreich aus dem In- und Ausland gab, haben Sie  völlig souverän unkommentiert an sich abprallen lassen. Gut gemacht!

Was hat Sie nun dazu geritten, in völlig unangemessener Weise auf einen Satiriker zu reagieren, der nicht gegen Sie persönlich, sondern gegen einen ausländischen Antidemokraten „geschossen“ hat? Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass Ihrem Volk, das sie zu vertreten und zu regieren haben, die Befindlichkeiten eines unsouveränen, scheinbar nicht gerade mit Selbstbewusstsein ausgestatteten ausländischen Staatsmannes gelinde gesagt völlig Wurst sind. Für wen agieren Sie? Auftragsgemäß für das in diesem Lande lebende Volk? Oder halten Sie es für Ihre Aufgabe, einer ausländischen Mimose, die selbst in absolut nicht zimperlicher Art gegen Kritiker und politische Gegner vorgeht, das Näschen zu pudern, in dem Sie eine Satire als „bewusst verletzend“ bezeichnen?

Der eigentliche Skandal an der ganzen Sache ist neben dem Treten mit Füßen der Meinungs- und Pressefreiheit der Fokus Ihrer Politik: Sie haben selbst in der Pressekonferenz betont, dass in diese Entscheidung das Auswärtige Amt, das Bundesjustizministerium, das Bundesinnenministerium und das Bundeskanzleramt eingebunden waren. Hallo, geht’s noch? Sie verschwenden in unverantwortlicher Weise teure Ressourcen dieser Republik für die Befindlichkeit eines rückständigen Staatsmannes, der an den Errungenschaften von Atatürk herumsägt? Der einfache und einzig angemessene Satz: „Wir geben dem Antrag nicht statt“ hätte das Anliegen der Türkei in den Bereich zurückgebracht, in den es hingehört: Realsatire! Statt dessen hätten Sie und Ihr Verwaltungsapparat vielleicht mal Zeit für wirklich wichtige Dinge gehabt, für deren Lösung Sie gewählt wurden: Ich bin vielleicht ein Träumer, aber ich möchte, dass wir wieder ohne Angst haben zu müssen, in sämtlichen Orten dieser Republik egal zu welcher Uhrzeit spazierengehen können. Ich möchte, dass sämtliche Taschendiebe, Einbrecher, Vergewaltiger, Körperverletzer, Betrüger, Mörder, Steuerhinterzieher, etc. verfolgt und ANGEMESSEN bestraft werden. Eine Abschaffung des unerträglichen Lobbyismusses, ein einfaches und damit gerechteres Steuerrecht, etc., etc.

De facto sind die Gesetze dieser Republik in vielen Bereichen eine Einladung an unredliche Menschen! Die Exekutive muss leider bei vielen Dingen untätig zusehen, da die Politik ihre eigentlichen Aufgaben nicht erledigt. Dies sind die Dinge, die das Volk beschäftigen und nicht ob Worte irgendeinen ausländischen Politiker, der keinen Schutz bedarf, kränken oder sonst wie verärgern! Ich wünschte mir Weitsicht und einen anderen Fokus von Ihnen, damit auch die Zufriedenheit Ihrer Wähler oder einstigen Wähler wieder mal steigen kann. Besinnen Sie sich auf deutsche Werte und hören Sie auf zu kuschen! Satire schreiben andere Leute besser, dafür brauchen wir nicht eine Bundeskanzlerin!

Hut ab vor Ihrem Austritt aus der Wiesbadener CDU, Herr Christian Hill, da Sie die Entscheidung der Kanzlerin nicht mittragen können – das nenne ich für seine Überzeugungen einstehen!

Dieser Artikel ist am 19.04.2016 in der Huffington Post erschienen: Huffington Post Artikel